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Prof. Dr.
Dieter Nerius, Vorlesung Sommersemester 2004
Lexikologie
der deutschen Gegenwartssprache
17. März
2004
1. Gegenstand,
Aufgaben und Abgrenzung der Lexikologie
1.1. Die
Stellung der Lexikologie im System der sprachwissenschaftlichen
Einzeldisziplinen
Textebene –
Textlinguistik
Syntaktische
Ebene – Syntax
Lexikalische
Ebene
Morphemische
Ebene – Morphologie, Lexikologie: Wortschatz, Bestandteile (Wort,
Lexem),
Aufbau,
Funktion
Phonemebene –
Phonetik
Graphemebene –
Graphologie
Semiologische
Ebene – Semiologie
Morphologie /
Lexikologie: Die Lexikologie betrachtet Einheiten unabhängig von
der
Funktion auf
Syntaktischer Ebene, die Morphologie die Funktion in Wortgruppe und
Satz:
Grammatische
Kategorien.
Lexikalischer
Aspekt: Wortebene, Lexem = Wortschatz => ist das Inventar der
usualisierten
lexikalischen
Zeichen = die in Gebrauch sind. (Okkasionalismen gehören nicht zum
Wortschatz),
Individuelle Besonderheiten nicht beim Wortschatz.
Thea Schippan:
„Sie (die Lexikologie) ist die Wissenschaft von den lexikalischen
Zeichen.“
Beschreibt
Bedeutung, Bildung, Funktion der Wörter, Struktur, Aufbau, Wesenszüge.
Die
Lexikologie
untersucht den Wortaufbau und die Wortbedeutung, Struktur und
Veränderung
des Wortschatzes,
sowie der Beziehung der lexikalischen Einheiten im Sprachsystem und
im
Text.
Diese Disziplin
kann sowohl synchronisch als auch diachronisch
betrieben werden.
1.2. Die
Teilgebiete der Lexikologie und die Möglichkeiten der Beschreibung
des
Wortes und
des Wortschatzes
Lexikologie
umfasst Unterdisziplinen, die Möglichkeit der Beschreibung eines
Wortschatzes
ausmachen. Seit
ca. 1960 Teilgebiet Lexikologie. Unterdisziplinen unterschiedlich
ausgearbeitet.
Gemeinsamer Bezugspunkt = Wort.
6 Teilgebiete:
1. Wortbildungslehre, 2. Wortbedeutungslehre, 3. Struktur des
Wortschatzes
und ihre
Beschreibung (weitere Unterbereiche), 4. Onomastik (Namenkunde), 5.
Phraseologie, 6.
Lexikographie
1.2.1.
Wortbildungslehre
Wortbildungslehre:
Gegenstand ist die Bildung von Wörtern durch die Neukombination
vorhandener
Wörter oder mit besonderen Wortbildungselementen = Hauptverfahren
im
Deutschen für
neue Wörter. Die neuen Wörter sind in der Regel mit der Bedeutung
ihrer
Bauelemente
verbunden = motiviert. Prozeß der Demotivierung = Verdunklung
der
2
Bestandteile,
z.B. „Handtuch“. Im einzelnen beschäftigt sich die Wortbildungslehre mit
den
Arten, Modellen
und Mitteln der Wortbildung, diachronisch als Prozess, synchronisch als
Ergebnis.
Wortbildungskonstruktion am syntaktischen Element (z.B.:
„Sonnenschutz“,
„Arbeitsschutz“).
Beziehung zur Morphologie; Homonyme Elemente, die nur anscheinend
gleich sind,
z.B. Lehrer (Nomen Agentis) und Hühner (Pluralmorphem). Von der
Wortbildung ist
die Wortschöpfung zu unterscheiden. Lautnachahmende Wörter:
Onomatopoetika;
Mit sprachlichen Mitteln werden Vorgänge der Realität imitiert.
1.2.2.
Wortbedeutungslehre
Wortbedeutungslehre
gehört zur Semasiologie. Gegenstand sind das Wesen, Struktur und
Beziehung der
Wortbedeutung und die Beziehung der Wortbedeutung im Text.
Gegenstand
der
Wortbedeutungslehre: Polysemie, Monosemie. Homonymie = Gleichheit
der
Wortbedeutung,
Anscheinend selbes Wort = Formale Gleichheit; Synonymie: Beziehung,
die
Wortbedeutungen
untereinander haben können. Verschiedene Wörter können die gleiche
Bedeutung haben.
Das selbe Denotat wird durch unterschiedliche Formative bezeichnet.
Diachronischer
Aspekt der Bedeutungsentwicklung, denn die Bedeutung bleibt nicht
gleich
=> Problem,
das schwierig ist: Identität einer Sprache in ihrer Entwicklung. Warum
ist
Althochdeutsch
auch Deutsch? Die Identität der deutschen Sprache muß gezeigt
werden
können. Das
bezieht sich auch auf den Wortschatz, z.B: „Marschall“ = ahd. maneskalg
(mane-
Pferd;
skalg-Knecht), oder z.B.: „Frauenzimmer“ - Bedeutungswandel zum
Pejorativen.
1.2.3.
Struktur des Wortschatzes
Struktur des
Wortschatzes: Der Wortschatz ist ein vielschichtiges Gebilde, keine
amorphe
Masse.
Sortierung nach Alphabet ist Willkür! In diesem Teilgebiet geht es darum, die
Arten
der Gliederung
des Wortschatzes zu beschreiben. Sechs Gesichtspunkte bestehen: a)
etymologische
Gliederung (Gruppierung der Wörter nach deren historischen
Gesichtspunkt
der Abstammung,
nach der Grundbedeutung der Wortwurzel=Etymon)=Wortfamilien, b)
Semantische
Gliederung, Einteilung des Wortschatzes in Gruppen von Wörtern, die
semantische
Gemeinsamkeiten haben = Wortfeld (Farben, Temperaturen, Berufe), c)
die
regionale oder
diatopische Gliederung ds Wortschatzes = Feststellung und Lokalisierung
von
regional
verbreiteten Elementen des Wortschatzes. Kann sich auf Existenzformen
verteilen
(Umgangssprache,
Mundart). Standardsprachen = Überregional, Österreich hat eine
eigene
Standardsprache
demnach. d) diastratische, soziologische Gliederung: Untersuchung
der
spezifischen
Wortschätze soziologisch differenzierter Gruppen. Mannigfaltige
Gruppen
definieren sich
durch die Sprache. Gruppenwortschätze und Fachwortschätze =
Sonderwortschätze von
Berufsgruppen, wortschatzbesonderheiten von Interessensgruppen,
Altersgruppen
etc. e) historische Gliederung (diachronische Gliederung des Wortschatzes
=
zusammenstellung
der Bestandteile des Wortschatzes, die zu einem bestimmten
Zeitpunkt
veraltend bzw.
neu sind. Archaismen z.B. „Eidam“, „Muhme“; Neologismen: keine
exakte
Klassifikation,
keine ewigen Neologismen, z.B. „Flugzeug“ war vor dem 1. WK ein
Neologismus, es
gibt kein Archaismenwörterbuch des Deutschen. f) diaintegrative
Gleiderung
der Sprache:
Entlehnte oder fremde Wörter in der Sprache = trad. „Fremdwort“. Deutsch
ist
synthetische
Sprache, daher: ab wann ist etwas „fremd“. Mit der Wortentlehnung ist
ein
Prozess der
Integration verbunden, Lehnwörter = Fremdwörter, die man nicht als
Fremdwörter
erkennt („Mauer“, „Tafel“ etc.).
1.2.4.
Onomastik (Namenkunde)
3
Onomastik:
(Namenkunde, Lehre von den Eigennamen): Eigennamen sind ua. auch
Wortgruppen,
daher immer Lexeme. Die O. beschäftigt sich mit Bestimmung,
Abgrenzung,
Bildungsweisen
und Klassifikation der Eigennamen.
1.2.5.
Phraseologie
Phraseologie:
Einerseits Phänomen: Objektsprachlich: Phraseologismen
(Wortgruppenlexeme),
Wortgruppen, die wie freie freie syntaktische Fügungen aufgebaut
sind, die aber
nicht aus der Bedeutung der Bestandteile erschließbar sind („durch die
Tür
gehen“, „durch
die Lappen gehen“), nur diachronisch erschließbar. Manche Sprachen
sind
reich an
Phraseologismen – Idiomen. Wie erklärt man: „Kohldampf schieben“?
Phraseologie
bestimmt
Struktur, Funktion und Klassifizierung der Phraseologismen.
1.2.6.
Lexikographie
Lexikographie:
Lehre von der Erfassung des Wortschatzes in Wörterbüchern.
Möglichkeiten
der Darstellung
des Wortschatzes in Wörterbüchern. Ausarbeitung der
Wörterbuchtypen,
Anordnung und
Charakterisierung des Wortschatzes in den Wörterbuchtypen.
24. März
2004
2.
Wortbegriff und Wortstruktur
Für die
Linguistik ist das Wort eine umstrittene sprachwissenschaftliche Einheit
(siehe
Ebenenmodell
Punkt 1.1). Eine Problematik besteht darin, dass das Wort strukturell
auflösbar
ist, pragmatisch
ist das Wort nicht nötig. Wörter sind immer Morpheme (Kind, Haus,
Bach)
oder
Morphemverbindungen (Kindheit, Haustür) (= Syntagmen).
Dieser Tatsache
steht die allgemeine Bekanntheit des Begriffs „Wort“ gegenüber.
Eine
Gesamtdefinition
des Wortes gibt es bisher nicht, sie ist theorieabhängig. Es gibt
verschiedene
Bestimmungen,
die von unterschiedlichen Konzepten ausgehen. Das Problem: keine
Bestimmung
ergibt das gleiche wie eine andere. Wir gehen von mindestens vier
Grundbestimmungen
aus.
1)
phonetisch-phonologisches Wort (Wort als Ausspracheeinheit) durch
Pausen,
Lautverbindung
im Anlaut und Auslaut, Akzente. Es gibt erlaubte und nicht erlaubte
Lautketten.
2) Graphisches
Wort: sprachliche Einheit auf der graphemischen Ebene, die zwischen
zwei Spatien
steht. Das Spatium ist nicht „Nichts“. Weil dieser Begriff der
„Normalmenschenbegriff“
ist, sorgte eine vermehrte Getrenntschreibung durch die
Reform 1996 für
Aufruhr.
3)
Morphologisches Wort: Flexionswort = Gesamtheit der Flexionsformen
einer
sprachlichen
Einheit, die eine bestimmte morphologische Struktur besitzen.
4) Semantisches
Wort = Lexikonwort. Wort als selbständige
Bedeutungseinheit, sehr
häufige
Bezeichnungsart.
Nicht alle
Morpheme sind Wörter und auch nicht alle Syntagmen, sondern nur
bestimmte
Arten davon.
Hier ist eine strukturelle Definition angebracht.
Die
Begriffe
-
morphematisch
-
semantisch
bilden unsere
Ausgangsbasis.
4
Morphematisch/Strukturell:
Wörter sind
autonome Morpheme = selbständige bedeutungstragende Einheiten (Kind,
Tisch,
etc.).
Daneben gibt es
z.B. –heit, -keit, -ung. (Kind Kindheit). als nicht autonome Morpheme:
sie
sind kleinste
Einheiten (aber keine Wörter!)
autonome
Morpheme: Kind, Tisch, Straße (Morpheme + Wörter).
Diese Morpheme
können zu Verbindungen kombiniert werden, z.B. feste
Morphemverbindungen.
Feste
Morphemverbindung: Morpheme, die eine einheitliche Semantik besitzen und als
ganzes
verschiebbar sind (Ladung, Kindheit).
Autonome
Wortgruppen: Phraseologismen, deren Bedeutung nicht aus den
Bestandteilen
entsteht (z.B.
„durch die Lappen gehen“).
Freie
Wortgruppen: z. B. „durch die Tür gehen“, Verbindungen in Sätzen.
Sätze
Texte
Wörter sind
demnach Morphemverbindungen oder Morpheme.
Semantisches
Wort:
Ein Wort ist die
kleinste selbständig bedeutungstragende und semantisch isolierbare
Bedeutungseinheit.
Problematik:
Abgrenzung zu nicht autonomen Morphemen. Inwiefern ist der Artikel
ein
Wort? Er erfüllt
beide Definitionen nicht, trägt keine eigenständige Bedeutung und ist nur
ein
grammatisches
Morphem wie „-er“ in „Männer“ oder „Hühner“. Im Schwedischen ist
der
Artikel
nachgestellt, aus „hus“ wird „huset“.
Hilfsverben
erfüllen die Kriterien ebenfalls nicht, denn semantisch ist „habe“ in „ich
habe
gerufen“ ohne
Bedeutung.
Suppletivformen:
sind ein Spezifikum der deutschen Morpholie, das sind verschiedene
Wörter
in einem
einzigen Paradigma: sein, bin, ist, sind, war. Dabei handelt es sich aber um
ein
diachronisches
Problem.
Daher grenzt die
Lexikologie den Begriff „Wort“ ein, und behandelt nur die
Autosemantika
(Substantiv,
Adjektiv, Verb). Die Synsemantika gehören nicht zu diesem
Gegenstand.
Andererseits
geht die Lexikologie über die Grenzen hinaus auf Einheiten, die
strukturell
Wortgruppen
sind, aber faktisch Lexeme (Phraseologismen).
Lexem sind:
Ein-Wort-Lexeme und Wortgruppenlexeme.
5
Das Wort ist
Morphem oder Morphemverbindung => Bestimmung der Art dieser
Kombination:
Möglichkeiten
der Kombination umfassen drei Klassen.
- Grundmorphem,
autonome Morpheme: diese Klasse ist offen, nicht aufzählbar.
-
Wortbildungsmorpheme, Affixe
o Präfixe =
aufzählbare Gruppe
o Suffixe =
aufzählbare Gruppe
-
Flexionsmorpheme
Wortbildungsmorpheme
und Flexionsmorpheme sind nicht autonome Morpheme.
erstens: Wörter
sind Grundmorphem, z.B. „Fisch“ und
zweitens:
Kombinationen von Grundmorphemen: „Fensterbank“.
Deutsch ist die
wortbildungsfreudigste europäische Sprache, andere Sprachen müssen
syntaktisch
arbeiten.
drittens:
Grundmorphem+Suffix („Fisch-er“)
viertens:
Präfix+Grundmorphem („ent-laden“)
alle
Kombinationen: Grammatisches Morphem: des Fischers = des
Fisch-er-s.
Begriff der
Konstituente: Bestandteil strukturierter Wörter: „Fenster-Bank“ =
zwei
Konstitutenten.
Stamm:
Meist die Form
des Wortes ohne grammatisches Morphem, z.B. „Fisch“ bei „Fisch-er“.
„Fischer+Nullmorphem“
= Fischer (Plural)!
Basis:
Form des Wortes,
de sich mit Wortbildungsmorphemen verbinden kann. z.B. „Kind“ in
Bezug auf
Kindheit, z.B. „Ladung“ in Bezug auf Entladung.
3.
Wortbildungslehre
3.1. Wesen
und Ursachen der Wortbildung
Wortbildung ist
die Bildung neuer Wörter durch Kombinationen vorhandener Wörter oder
mit
Wortbildungselementen
nach bestimmten Strukturtypen oder Mustern. Bei dieser Verbindung
entsteht ein
neues Wort, das mit der Bedeutung der Konstituenten eine Beziehung aufweist
=
Morphematische
Motivatin, z.B. „Tischbein“. Wörter selbst sind nicht motiviert.
Die
Bedeutung
sprachlicher Zeichen ist arbiträr oder willkürlich. Dass ein Denotat mit
„Tisch“
bezeichnet wird,
ist willkürlich.
Es existieren
drei Ausnahmen
- morphematische
Motivation: besteht darin, dass die Elemente nach bestehenden
Strukturtypen
zusammentreten und Bedeutung verursachen. Der Motiviertheitsgrad
kann
unterschiedlich sein (Durchschaubarkeit der Benennungsmotive). Oft
sind
Benennungsmotive
verdunkelt, verblasst. Abstufung der Benennungsmotive in Bezug
auf den Grad der
Motivation, die den Prozess der Idiomatisierung verdeutlicht.
o völlige
Durchschaubarkeit (z.B. „Tischbein“)
6
o noch
Durchschaubarkeit, partielle Demotivierung. Summe ist mehr als die
einzelnen Teile.
Vokabel kann nur ganz erfasst werden: Handtuch, fabelhaft,
Großmutter. Bsp.
„fabelhaft“: in der Art einer Fabel = hervorragend.
o weitestgehende
Demotivierung, Nichtableitbarkeit der Gesamtbedeutung durch
die
Wortbildungselemente. Idiome: Augenblick, Buchhalter, Eigenbrötler,
hintergehen,
Bräutigam (Was ist „gam“?); Himbeere (Was ist „him“?)
- semantische
Motivation: ein Wortformativ wird zur Bezeichnung eines anderen
Denotats
benutzt, aufgrund gemeinsamer Merkmale der neu bezeichneten
Gegebenheit
mit der schon
vorhandenen Wortbildung. z.B. „Schlange“ – metaphorische
Bedeutungsübertragung.
Dabei entsteht Polysemie, was ein ökonomisch sparsamer
Vorgang ist,
z.B. „Linse“. Andere Sorte semantischer Motivation (Haus, Schule,
Kopf) ist die
metonymisce Bedeutungsübertragung.
- phonetische
Motivation: besteht darin, dass die Bedeutung motiviert ist, dass
mit
bestimmten
Formativen Bedeutungszusammenhänge imitiert werden:
Onomatopoetika.
Die Wortbildung
aus vorhandenen Worten ist die wichtigste Möglichkeit bei der
Wortbildung
unserer Sprache,
das spricht sehr für die Sprache. Die Vokabeln sind schon da und sie
werden
rekombiniert.
Andere Möglichkeiten wären die Entlehnung oder Bedeutungswandel.
Es gibt
bestimmte Strukturmodelle, die man Wortbildungsarten nennt. Wieder
klassifiziert
nach der
Beschaffenheit ihrer Konstituenten und deren Beziehung. Demnach
unterscheidet
man folgende
drei Arten (bzw. vier):
- Kombination
von Grundmorphemen bzw. Stämmen = Komposition,
Zusammensetzung
- Kombination
von Grundmorphemen bzw. Stämmen mit Wortbildungsmorphemen =
explizite
Derivation, bzw. Ableitung, mit wiederum zwei Möglichkeiten
o Suffigierung:
Morpheme, die dem Grundmorphem nachgestellt werden wie in
„Kindheit“,
„tragbar“.
o Präfigierung:
Morpheme, die dem Grundmorphem vorangestellt werden.
- Überführung
von Grundmorphemen in eine andere Wortart ohne
Wortbildungsmorpheme
= Wortbildung ohne Wortbildungsmorphem
o mit formaler
Veränderung (implizite Ableitung wie „gehen – Gang“)
o ohne formale
Veränderung (Konversion, wie „essen – das Essen“)
- Sonderart der
Kurzwortbildung: Entstehung lexikalischer Einheiten durch Weglassen
und
Zusammenfügen bestimmter Teile von Wörtern oder Wortverbindungen:
Kripo,
Akku, Kfz. Die
Semantik ist identisch, die Form verschieden. Eine Kurzwortbildung
kann
verursachen, dass die Vollform verloren geht.
Diese
Wortbildungsarten können nun weiter Subklassifiziert werden, nach Hierarchien
der
Konstituenten,
semantischen Beziehungen usw.
Ursachen der
Wortbildung:
Ergeben sich aus
den Gründen der Wortschatzerweiterung. Mehrzahl aller Wörter
entsteht
durch
Wortbildung. Gründe für die Wortentstehung sind mannigfaltig.
Hauptgrund:
Benennungsbedürftnis,
die Erfordernis, Bezeichnungslücken zu schließen: Beziehung,
Produkte,
Institutionen. Man kann über die Realität nicht sprechen, wenn sie sprachlich
nicht
verbalisiert
ist. Das Benennungsbedürfnis besteht ununterbrochen. Täglich. Immer.
Ständig.
Ohne
Fachwortschätze ist die Zahl der ausgeschiedenen und neuen Wörter etwa
im
Gleichgewicht.
7
Spezifische
Gründe: Bedürfnis, vorhandene Bezeichnungen zu ersetzen und zu
ergänzen.
Pragmatische
Gründe: Wandel von Fremdarbeiter – Gastarbeiter – ausländische
Mitbürger;
Altersheim –
Feierabendheim – Seniorenheim.
Sprachökonomie:
Rundtischgespräch.
Expressivität
und Ausdrucksstärke: sauber – blitzsauber, reaktionär –
erzreaktionär.
Okkasionalismen:
sonnensauber, windfrisch.
31. März
2003
3.2. Arten
der Wortbildung
3.2.1. Zusammensetzung
(Komposition)
a) Wesen der Zusammensetzung: Die
Komposition ist eine Wortbildungsart, bei der
durch die
Verbindung von
zwei oder mehreren Stämmen (Grundmorphemen) ein neues Wort
entsteht.
Komposita sind
in der Regel binär strukturiert, d.h. ihre unmittelbaren Konstituenten
sind
zweigliedrig
angeordnet.
Eisenbahnverwaltung
Stamm
Stamm
GM
GM
Stamm
Suffix
Präfix
GM
Das Kompositum
stellt aus der Wortgruppe eine eigenständige Größe dar, die formal
und
auch semantisch
nicht mehr mit der freien Wortgruppe identisch ist. Ein Hauptakzent auf
der
ersten Silbe,
ortographische Zusammenschreibung, grammatisch werden Wortart und
Genus
durch die zweite
unmittelbare Konstituente bestimmt. Ebenso wird nur die zweite
unmittelbare
Konstituente flektiert. Semantisch stellt das Kompositum eine neue
begriffliche
Einheit dar, die
sich auf ein neues Denotat bezieht. Innerhalb des Kompositums besteht
die
Tendenz zur
Demotivierung (Arbeitsschutz, Sonnenschutz).
b)
Klassifikation der Zusammensetzung:
In der
Wortbildungslehre werden zwei Möglichkeiten der Klassifikation
unterschieden
– nach dem
semantischen Verhältnis der unmittelbaren Konstituenten von
Komposita
(semantisch-syntaktische
Klassifikation).
– nach den
formalen Verfahren der Zusammensetzung und
den
Kombinationsmöglichkeiten
der Wortarten (morphologisch).
semantisch-syntaktische
Klassifikation:
nach dem
semantischen Verhältnis unterscheidet man die
Determinativ-Komposita
und die Subordinierende Beziehung der unmittelbaren Konstituente.
Kopulativ-Komposita:
Koordinierende Beziehung der beiden unmittelbaren Konstituenten.
Diese
Klassifikation bezieht sich auf Substandiva und Adjektiva.
Determinativ-Komposita:
größte Gruppe der Zusammensetzung (äußerst
Produktiv im
Deutschen). Die
erste der beiden Konstituenten determiniert die zweite unmittelbare
Konstituente
semantisch und schränkt ihren Denotationsbereich ein. Die erste UK
=
Bestimmungswort,
die Zweite UK = Grundwort. Die Semantik ist zu mannigfaltig und hat
die
Determinativkomposita
noch nicht beschrieben. Bei den Determinativkomposita kann man
noch
Sondergruppen unterscheiden, z.B
8
-
Zusammenbildungen: Die erste UK stellt ursprünglich eine Wortgruppe dar und
stellt
kein Wort dar
(4-Sterne-Hotel).
-
Passivkomposita (Exozentrische Komposita): Das Grundwort bezeichnet nicht
immer
eine genaue
Gattung, sondern es bezeichnet den Besitzer dessen, was in ihm
ausgedrückt wird
(z.B. Rotkäppchen).
Kopulativ-Komposita:
kleinere Anzahl: Koordinierende oder parataktische R…. von den
Konstituenten.
die Konstituenten müssen der gleichen Wortart angehören
(Strichpunkt,
taubstumm,
Strumpfhose). Ihre Reihenfolge ist prinzipiell vertauschbar, je nach Grad
der
Usualisierungen.
morphologische
Klassifizierung (formales Verfahren):
Möglichkeiten:
Zusammensetzungen ohne/mit Fugenelement (eine spannende Sache!)
- Zusammensetzung ohne
Fugenelement: Historisch älter, älteste Form der Komposition
des Deutschen.
Jacob Grimm (Gründer dieser Wissenschaft) nennt diese
Zusammensetzung „eigentliche
oder echte“ Komposition (synchronisch gesehen ist
das
Nonsens).
- Zusammensetzung mit
Fugenelement (jünger): zwischen dem 1. und 2. Glied tritt ein
Fugenelement
auf, das ein Rudiment der Flexion des ersten Elements sein kann:
Tag-
es-licht. „es“
ist Fugenelement, häufig eine Flexionsform des 1. Gliedes.
In der
Verbindung sind die Fugenelemente keine Morpheme sondern „Kitt“
einer
Verbindung.
Rudimentäre Flexionsformen gilt nicht für alle Elemente, auch dort, wo sie
nie
in der Flexion
auftreten, z.B. Arbeitslast.
- ohne
Fugenelement (älter).
4 Fugenelemente
bei substantivischen Komposita:
[-e-]:
Gästehaus, Hundesteuer
[-en-]: Genetiv
Sg. Maskulin: Sonnenstrahl, Wüstensand.
[-er-]:
Kinderfreund, Götterspeise
[-s-, -es-]:
Siegesfest, Jahresanfang, Ansichtskarten.
Das Fugenelement
ist synchronisch kein Morphem, es trägt weder lexikalische noch
grammatische
Bedeutung.
Sonderfall der
Zusammensetzung ist die
Zusammenrückung: Die Grundmorpheme folgen
nicht der
Struktur von Zusammensetzung = Satznamen
= Substantivierte Satzbausteine:
Taugenichts,
Gernegroß, Stelldichein; Rührmichnichtan, Vergißmeinnicht. Das geht in
die
Nähe der
Phraseologismen.
3.2.2.
Ableitung (Derivation)
a) Wesen der
Ableitung: Verbindung von Grundmorphem mit Wortbildungsmorphem.
Autonome +
Nichtautonome Morpheme. Suffigierung und Präfigierung sind
Explizite
Ableitung
gegenüber der Impliziten Ableitung.
explizite
Ableitung: Nichtautonome Morpheme treten an selbständige Stelle.
implizite
Ableitung: Nullmorphem (nur formale Änderung des
Grundmorphems)
9
Suffigierung
und Präfigierung sind ebenfalls sehr produktive Wortbildungsformen.
Die
Suffigierung
hat eine Domäne im Nominalen Bereich. Die Präfigierung hat ihre Domäne
im
verbalen
Bereich.
b) Suffigierung
(Charakterisierung und Abgrenzung)
Als Teil der expliziten
Ableitung werden die Stämme mit Suffixen verbunden, die rechts an
den Stamm
angefügt werden, die dem Grundmorphem nachgestellt werden. Dabei
können
auch komplexe
Wortstrukturen beteiligt sein (z.B. Hauswirtschaftlichkeit). Suffixe
können
gleichzeitig
eine Überführung in eine andere Wortart bewirken. Wortartwechsel der
Basis.
sandig = GMs +
Suff. s=>a
tragbar = GMv +
Suff. v=>a
Freiheit = GMa
+ Suff. a=>s
Suffixe haben
diese Fähigkeit der Überführung von Wortarten. Es gibt auch
Suffigierungen
ohne
Wortartveränderungen, aber mit semantischer Änderung: „-in“ (Movierungssuffix),
z.B.
Lehrer-in.
Abgrenzung der
Suffigierung von der Zusammensetzung:
Autonome +
Nichtautonome und autonome + autonome Morpheme. Das Modell
(Ableitung)
historisch
identisch, mehr und mehr Entwicklung des Suffix (-heit- > heidus (= Art,
Weise)).
Es gehen
eigenständige Wörter allmählich zu Suffixen über. „-kraft“, „-werk“, „-zeug“,
„-
mann“;
Lehrkraft, Schuhwerk, Steuermann, Flugzeug. Halbsuffixe oder Suffixoide
sind
Elemente, die
die Grenze zw. Zusammensetzung und
Suffixierung verschwinden lassen.
Paradefall ist
„mäßig“, als
Suffixoid.
Die Abgrenzung
zum einfachen Wort: Ein Morphem kann nur dann als Suffix
bezeichnet
werden, wenn es
in der Sprache noch produktiv ist. Wenn nicht, hat man Probleme.
Grenzfälle sind
Übergangsformen: „-sal“, „-t“, „-e“ (Zierde, Freude); Genaugenommen
sind
das keine
Ableitungen mehr, weil die Suffixe nur mehr historisch identifizierbar
sind.
Das gilt auch
für die Basis, es muss noch produktiv sein: emsig, hurtig, tüchtig, heftig,
denn
was ist: „ems“,
„haft“, „hurt“?
21. April
2004
zur
Suffigierung
a)
Morphologische Klassifikation der Suffigierung
Man
unterscheidet: substantivische Ableitungen (-ung, -heit, -keit, -er), z.B. kühn
–
Kühnheit
(GM
A
+
Suff
A-S
= Kühnheit),
(GM
V
+
Suffix
V-S
=
Lehrer)
Suffixe treten
vor allem bei Nomina und Adjektiva auf, charakteristische
Adjektivsuffixe
sind z.B. –bar:
GM
V
+
Suffix
V-A
=
drehbar.
Es gibt nur das
Verbalsuffix „-en“, weiters gibt es Adverbialsuffixe (-weise, -lings,
-s).
b) semantische
Klassifikation:
Suffigierung in
Bedeutungsgruppen und Zuordnung in Klassen. Mehrfachbedeutungen,
Polysemie der
Suffixe.
drehbar – kann
gedreht werden (Umschreibung)
Zwei Beispiele
für die semantische Klassifikation:
Suffix:
-er
Suffixe: -chen,
-lein (zwei Diminutivsuffixe des Deutschen)
10
zunächst „-er“:
lateinisches Lehnsuffix (lat. arius), polysem, besitzt Homonymie
(das
Pluralmorphem).
Substantivsuffix, das sich mit Basen verbinden lässt: Verb,
Substantiv,
Adjektiv,
Numerale.
Es gibt fünf
Bedeutungsgruppen:
1. Nomina
agentis: vor allem mit verbaler Basis verbunden (Lehrer, Fahrer)
2. Bezeichnung
für Werkzeuge: Korkenzieher, Leuchte, Klammer, Schieber – sind
ursprüngliche
Nomina agentis
3.
Tätigkeitsbezeichnungen (nicht ganz richtig): Walzer, Triller, Hopser,
Krächzer.
4. Personale
Herkunftsbezeichnungen von Orts und Ländernamen: Deutscher, Wiener
etc.
5.
„Sachbezeichnungen“: Restgruppe: Unterschiedliche semantische
Richtungen:
Dampfer,
Kreuzer, Taler
Suffixe der
Diminutiva: -chen: niederdeutsch, -lein: oberdeutsch; sind
fakultativ.
3. Die
Präfigierung: Verbindung von Grundmorphemen mit einem
Nichtautonomen
Wortbildungsmorphem,
wobei das Präfix die erste unmittelbare Konstituente bildet. Das
Hauptanwendungsgebiet
ist die Wortbildung des Verbs. Zweiter Unterschied zur
Suffigierung:
nicht an bestimmte Wortarten gebunden; Präfixe bedeuten keinen
Wortartwechsel:
Präfixe können den Hauptakzent im Wort tragen.
Ent-laden =
Präfigierung
An-fahren =
Präfigierung oder Zusammensetzung mit
Präposition.
herauf-kommen =
eher Kombination mit Adjektiv.
Die
Grenzziehung ist schwierig, die Semantik der deutschen Präfixe ist nicht
systematisch
beschrieben.
Präfixoide oder
Halbpräfixe: Abstufung in Bezug auf die sebständige Bedeutung:
Mord,
Riese, Bombe,
Stock, Haupt… werden nach und nach zu Präfixen.
Die Werbung
kreiert solche Präfixe als
Okkasionalismen.
bei vergessen,
erquicken, verdrießen: Basis der Präfigierung ist verlorengegangen.
Klassifikation:
wie bei der Suffigierung: Man kann nicht nach Wortarten vorgehen,
Formale
und
Morphologische und Semantische Klassifikation der Präfigierung.
Freie Homonyme
sind neue Präpositionen, aber sie können auch Adverbien sein:
totlachen,
preisgeben,
wundernehmen sind beispielhafte Grenzfälle.
Viele
Präfixbildungen gehören zu den trennbaren Verben: übersetzen, übersetzen;
Trennbare
Verben sind
eine Spezifik der deutschen Wortbildung.
Semantische
Klassifikation: Semantische Relation zwischen Präfix und Basis ist
vielfältig:
be-, ent-, er-,
ver-, zer-;
Was bedeutet
das Präfix „be“? Beflügeln, beflaggen, besohlen, begütert, bemittelt,
bebrillt,
besiegen,
etc.
- „versehen mit
etwas“: be-decken = mit einer Decke versehen; be-siegen mit einem
Sieg
versehen.
ent-: „weg von
etwas“ (Basis)
er-: ermüden,
ergrimmen – bezeichnen der In…achsen
bezeichnen des
Erreichens durch die in der Basis ausgedrückte Tätigkeit: erbitten,
erflehen,
ver-:
Vielfältigster Bedeutungsinhalt: Versehen mit dem in der Basis
ausgedrückten
(vergolden);
Bezeichnung des Abweichens von dem in der Basis ausgedrückten
(verrechnen,
11
sich verhören,
verlaufen); Bezeichnung der Aufhebung (verlernen, verachten);
Beseitigung
von etwas;
Bereicherung der …
zer-:
einheitliche Bedeutung: etwas das Adverb „auseinander“: zerbrechen,
zerlegen,
zerfallen.
3.2.3.
Kurzwortbildung
Prozess der
Kürzung der Vollformen eines Wortes oder einer Wortgruppe und dem
Ergebnis,
das Kurzwort
oder die Abkürzung. Dieses Verfahren unterscheidet sich von der
bisher
betrachteten
Form der Abkürzung. Es tritt kein Wortartwechsel noch eine
semantische
Modifikation
gegenüber der Vollform ein. Es entsteht zunächst kein neues Wort, sondern
nur
eine
Wortvariante. Diese mit der Vollform gleichbedeutende Wortvariante dient
der
Rationalisierung der
Kommunikation und schränkt auf Dauer die Vollform ein oder
verdrängt
sie ganz. Die
Abkürzung gibt es seit dem Ahd. und ihre Zahl nimmt immer mehr zu.
Abkürzungswörterbücher
mit bis zu 60000 Einträgen (Kobler-Trill Diss. Tübingen).
Von vielen
Kurzformen aus Fremdsprachen sind die Vollformen unbekannt: AIDS,
BSE,
PIN, die
Kurzformen entstehen aus Wortbildungen und Wortgruppen. Die
Kurzformen
können
ihrerseits wieder Bestandteile von Wortbildungskonstruktionen
werden.
90% der
Kurzwörter sind Initialkurzwörter.
28. April
2004
4.
Wortbedeutungslehre
Die
Wortbedeutungslehre beschäftigt sich mit der Bedeutungsseite der
bilateralen
Bedeutungseinheit
Wort oder Wortgruppe. Gegenstand ist die Untersuchung des Wesens,
der
Struktur und
der Entwicklung von Wortbedeutung, sowie die Beziehungen, die zwischen
der
Bedeutung von
Wörtern im System oder Text entstehen.
4.1. Wesen
und Determiniertheit der Bedeutung
=>
Sprachliches Zeichen. Das sprachliche Zeichen ist Einheit einer Formseite
(Formativ) und
einer
Inhaltsseite (Bedeutung). Die Einheit ist die Grundlage des Funktionierens der
Sprache
als Kommunikationsmittel.
Beider Kommunikation werden Formative übermittelt und vom
Empfänger
werden die Inhalte wieder zugeordnet.
(F, B) Sender
=> Signal => (F,B) Empfänger
Kommunikation
ist nicht der Austausch von Informationen, sondern deren
Reproduktion!
Wäre es nur
Informationsaustausch, gäbe es niemals Mißverständnisse.
Das Formativ
existiert auf zweifache Weise: als Bewußtseinsinterne
Größe, als Abbild
einer
Vielzahl
grafischer und lautlicher Realisierungen und konkret im Sprechakt als realisierte
Laut- und
Buchstabenfolge. Die „Parole“ ist durch situative Merkmale gekennzeichnet.
Auch
bei der
grafischen Seite gibt es viele Unterschiede in der Realisierung, dahinter steht
aber das
gleiche
abstrakte Graphem.
Die Bedeutung
des Zeichens existiert nur im Bewußtsein. Dieser gedankliche Inhalt kann
die
unendlich
sprachlichen Gegebenheiten der Welt verallgemeinert abbilden =
Objektabbild,
12
während die
Buchstabenfolge Signalabbild ist. Ein Formativ „Baum“ hat die Bedeutung
eines
allgemeinen
Baums. Das Gehirn bildet die Klasse der Bäume als Abbild ab.
Die Bedeutung
ist ein gedanklicher Inhalt, der letztlich die Welt abbildet, sie ist
ein
allgemeines
Abbild von Gegebenheiten der uns umgebenden Welt im Bewusstsein der
Angehörigen
einer Sprachgemeinschaft das traditionell mit einem Formativ zur Einheit
des
sprachlichen
Zeichens verbunden ist. (Siehe Definition bei Thea Schippan, S. 5)
Da die
Lexikologie sich mit dem Wort befasst, liegt hier die Beschäftigung mit
der
Wortbedeutung
nahe. Das gilt nicht für alle sprachlichen Zeichen. Speziell für
die
Wortbedeutung
gilt:
a) lexikalische
Bedeutung, die durch das Grundmorphem und die
Wortbildungsmorpheme
ausgedrückt wird (Kind, Haus)
b) grammatische
Bedeutung, die durch die grammatischen Morpheme ausgedrückt wird:
Kind-er =
Pluralbedeutung.
Die
lexikalische Bedeutung stellt ein Abbild von Gegebenheiten dar, während
die
grammatische
Bedeutung die Beziehung eines Worts zu anderen sprachlichen
Einheiten
darstellt.
Verbindung von
Formativ und Bedeutung ist arbiträr, willkürlich. Zwar ist sie
obligatorisch,
aber
willkürlich, weil die Verbindung in verschiedenen Sprachen völlig
unterschiedlich ist. Es
gibt drei
Ausnahmen: Motivation = das Vorhandensein einer Ursache für die Verbindung
von
Formativ und
Wort: Phonetisch (Onomatopoetika), Morphematische Motivation,
Semantische
Motivation.
Ein letztes:
Gesellschaftliche Determiniertheit der Bedeutung. Jede Sprachgemeinschaft
ist
ein
vielschichtiges Gebilde, das sehr differenziert ist. Streit in Geschichte und
Philosophie
über
ideologische Bedeutung (z.B. „Freiheit“). Es gibt eine gesellschaftliche
Determiniertheit,
ein Kern bleibt
gewahrt.
4.2.
Struktur der Bedeutung (Semasiologie)
Wenn wir das
Abbild betrachten wollen, wollen wir von einer dreifachen
Strukturierung
ausgehen:
a)
Differenzierung der Wortbedeutung (Struktur der Lexeme/Wörter).
Ein Wort/Lexem
hat oft mehrere Bedeutungen = einem Formativ sind mehrere Abbilder
zugeordnet, die
sich auf unterschiedliche Begebenheiten beziehen. Diese
verschiedenen
Bedeutungen
nennt man „Sememe“.
LINSE
(L
F
) =>
S
1
(Hülsenfrucht)
=> S
2
(Glaskörper).
Zwei
unterschiedliche Denotate liegen vor.
FLÜGEL
(L
F
)
=>
S
1
(Teil eines
Tieres)
S
2
(Tragflächen
eines Flugzeuges)
S
3
(Bewegliche
Teile eines Fensters)
S
4
(Seitengebäude)
S
5
(Teil einer
militärischen oder sportlichen Formation)
S
6
(Politische
Gruppe innerhalb einer Organisation)
S
7
(Musikinstrument)
13
Ist das nun ein
Wort mit mehreren Sememen oder sind es sieben Wörter?
Semem (n.
Greimas). Hier liegt Polysemie vor, eine normale Eigenschaft
sprachlicher
Zeichen. Keine
1:1 Bezeichnung für eine Formativ Beziehung.
Die Mehrheit
der sprachlichen Zeichen ist polysem. Diese Mehrfachbedeutung besteht
in
der Regel nur
im System (Ebene der „langue“). In der Kommunikation wird das Lexem
monosemiert.
Wir
unterscheiden bei der Differenzierung zwischen potenzieller Bedeutung und
aktueller
Bedeutung.
Aktuelle Bedeutung ist die jeweils realisierte Variante. Man
unterscheidet
weiters
zwischen Hauptbedeutung und Nebenbedeutung, sowie zwischen konkreter
und
übertragener
Bedeutung.
Bsp. GRÜN
=>
S
1
(HB) Polysemes
Wort, dessen Hauptbedeutung S
1
eine
Farbbezeichnung ist. Bei der
Bedeutung von
Farbbezeichnungen funktioniert die Semasiologie ja nicht.
S
2
(NB,
unreif)
S
3
(NB,
roh)
S
4
(NB,
frisch)
S
5
(NB, geistig
unreif, unerfahren)
S
6
(NB,
wohlgesinnt)
S
7
(NB, zur Grünen
Partei gehörend)
S
2
bis
S
4
sind konkrete
Sememe, die übrigen sind die übertragenen Bedeutungen.
b) Struktur der
Sememe
Die einzelnen
Sememe sind in sich weiterstrukturiert. Man wird mit dem Formativ
„Baum“ alle
Bäume meinen, mit „Tisch“ alle Tische, würde das schwierig.
Wir
verallgemeinern die Gegebenheit auf Grund von Klassenbildung.
Umgekehrt
müssen aus den Klassen Merkmale herauspräpariert werden können, aus
dem
sich die
Gegebenheiten aufbauen. Diese semantischen Merkmale sind die SEME =
konstituierende
Bausteine von Sememen, diese sind die Bausteine von Lexemen.
Die Phoneme
einer Sprache kann man in bestimmte Merkmale zerlegen: stimmhaft –
stimmlos; Deren
Zahl ist begrenzt, daraus bestehen sämtliche Laute der Sprachen der
Erde. Leider
hat sich dieses System nicht auf die Bestandteile der Wörter umlegen
lassen.
Definition der
SEME: sie stellen Abbildelemente dar, die die wichtigsten für die
Identifizierung
und Unterscheidung der jeweiligen Gegebenheiten unerlässlichen
Eigenschaften
umfassen. Nur die Elemente sind Seme, die unerlässlich sind und
identifizierend
sind. Die Seme sind Ergebnisse der menschlichen
Abstraktionstätigkeit,
die
Bestandteile von Abbildern im Prozess widerspiegelnder Tätigkeit der
Menschen.
Entsprechen den
Kommunikationsbedürfnissen und das heißt, dass sie sich mit dem
Erkenntnisstand
verändern.
Die Bedeutungen
der Seme innerhalb einer Sprachgemeinschaft sind je nach dem
Erkenntnisstand
unterschiedlich, z.B. Pferd: Lebewesen, Tier, Huftier, domestiziert,
nicht
gestreift.
Diese Seme entsprechen mitnichten dem wissenschaftlichen Begriff Pferd
aus
der Biologie.
Seme sind das gesellschaftliche Durchschnittswissen.
5. Mai
2004
1. Struktur der
Lexeme (Sememe)
14
2. Struktur der
Sememe (= Abbilder in den Köpfen sind nicht fotographischer Natur,
denn
dann wäre
Kommunikation nicht möglich)
3. Arten der
Seme/Komponenten der Bedeutung
Umstritten, ob
Arten von Semen unterscheidbar sind und wie sie beschaffen sind. Es
gibt
Wörter, die
nicht nur eine Gegebenheit abbilden (Baum, Tisch), sondern in deren
Bedeutung
mehr
steckt.
<Krieger>
Person, die im Interesse von jemand zu einer bewaffneten Organisation
gehört
archaisch sind
hier mehrere Konnotationen möglich
<Konzentrationslager>
neutrale Bezeichnung eines größeren Gefängnisses – weitaus mehr
steckt aber
hier historisch bedingt dahinter.
Unterscheidung
zweier Arten von Semen/Komponenten der Bedeutung
a) die die
Gegebenheit der Welt abbilden: Denotative Seme
b) ein Sem, das
eine bestimmte Haltung zu einem Denotat ausdrückt: Konnotative Seme
ð einfügen:
Skizze der Beziehung zw. konnotativen und denotativen Semen
4.3. Neuere
Auffassungen zum Wesen und zur Struktur der Bedeutung
Analytische
Bedeutungskonzeption geht auf die französischen Linguisten der 1960er
zurück:
Greimas,
Pottier. Sie ist in Analogie zur von der Prager Schule entwickelten
Phonologie
entstanden. Wie
man dort die Lautsegmente in kleinste Merkmale zerlegte, wollte man
das
auch mit
Bedeutungselementen. Der Anspruch erwies sich als nicht überall anwendbar.
Neue
Bedeutungskonzepte
wurden gesucht. Die Grenzen zeigen sich: Wortbedeutungen haben eine
Vagheit, die
eine eindeutige Merkmalfestlegung nicht zulassen. Stuhl/Sessel,
Baum/Strauch
überlappen
sich. Bedeutungen haben eine Kontextabhängigkeit, b. d. Synsemantika (ich,
dort,
wann).
Wittgenstein sagte: „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch.“
Bestimmte
Wortschatzbereiche
sind der Analyse distinktiver Merkmale schwer zugänglich, vor allem
Abstrakta. Auch
bei den Farbadjektiven ist man hilflos. Je höher der Abstraktionsgrad
ist,
desto
schwieriger wird ein Beschreibungsversuch.
Bei der
Sem-Analyse hat sich durch die kognitive Linguistik vieles entwickelt
(Psycho-
Linguistik):
Prototypensemantik (Theorie), Frame-Theorie, Stereotypensemantik.
Prototypensemantik:
Eine Art Gegenkonzept (Nebenkonzept) zur analytischer
Bedeutungskonzeption
=> holistische Bedeutungskonzeption. Es handelt sich um die
Zuordnung von
Einzelwörtern zu den besten Vertretern einer Klasse oder Kategorie
=
Prototyp. Man
geht davon aus, dass Wortbedeutung als Ganzheiten gespeichert
werden.
Prototypische
Bedeutung sind die Basisebene. An den prototypischen Vertretern
orientiert
sich die
Bedeutung der übrigen Vertreter eines Denotatsbereichs. Das Zentrum ist
der
Prototyp. Der
Prototyp des Fahrzeuges ist das Auto. Es handelt sich um eine
Feldgliederung
des
Wortschatzes mit prototypischen Vertretern für ein Feld. Mit den typischen
Merkmalen ist
man wieder bei
der analytischen Konzeption. Der Prototypische Vertreter wir in der
Ontogenese des
Kindes zuerst erworben: alles Runde = Ball. die Analytische Konzeption
gilt
nach wie vor als Grundlage.
4.4.
Polysemie und Homonymie
15
Zwischen
Formseite und Bedeutungsseite gibt es keine 1:1 Verbindung. Mehrheit der
Wörter
hat mehrere
Sememe zu einem Formativ. Die nicht 1:1 Beziehung von Formativ und
Bedeutung kann
von beiden Seiten ausgehen. Linse, Fuchs, Pferd, Bremse: 1
Formseite,
mehrere
Bedeutungen oder 1 Semem (Denotat, dessen sprachliche Bedeutungen
mehreren
Formativen
zugeordnet werden - Synonymie) und mehrere Formative: Ehemann,
Gatte,
Gemahl.
1
Formativ/mehrere Sememe: bei der Mehrfachnennung sind zwei Arten zu
unterscheiden:
Polysemie:
L
F
(Linse)
ð
S
1
ð
S
2
Ein Wort und
mehrere Bedeutungen, die unterschiedliche Denotate abbilden.
Homonymie:
L
F
–
S
1
(Bremse)
L
F
–
S
2
(Bremse)
Zwei
verschiedene Wörter, mit dem gleichen Formativ. Dieser Unterschied ist
wesentlich bei
dem Aufbau von
Wörterbüchern.
Die Kriterien
zur Unterscheidung von Polysemie und Homonymie sind umstritten.
1. Kriterium:
Semantik (Hauptkriterium). Setzt eine semantische Analyse voraus,
Ermittlung der
Gemeinsamkeiten der Sememe (Gemeinsame Seme), z.B. gemeinsame
Merkmale der
Form. Bei Gemeinsamkeiten spricht man von Polysemie, ohne
Gemeinsamkeiten
von Homonymie.
Das Formativ
<Hahn> ist mehrdeutig und hat mindestens zwei Sememe. Synchronisch
sind
sie Homogen,
historisch ist das eine aus dem anderen hervorgegangen.
Streitfall:
<Schimmel> (Wie ist dieses Wort im Wörterbuch gesetzt?)
2.
Morphologisches Kriterium ist Indiz für Homonymie: Unterschiede im
Genus,
Pluralbildung.
Bände – Bänder; Mütter – Muttern; sowie Unterschiede imWortlaut:
essen – das
Essen.
3.
etymologisches Kriterium, ist für synchrone Sprachbetrachtung
irrelevant.
homonymie
zwischen Bank – Bank (ital. banca); Kiefer – Kiefer (ahd. kienfohra),
Miete
(Lohn) – Miete
(Fruchtgrube zur Überwinterung des Gemüses, lat. meta = Grube).
19. Mai
2004
5.
Bedeutungsbeziehungen im System und im Text
Lexeme sind in
unserem Bewusstsein nicht als ungeordnete Mengen
einzelner Einheiten
gespeichert,
sondern in ihren funktionalen Zusammenhängen, die letztlich wieder
ihre
Vorkommensweisen in
Texten zusammenhängen.
Semant.
Beziehungen sind Resultate kontinuierlicher sprachl. Tätigkeit, Beziehungen
von
Wörtern, die
immer wieder miteinander vorkommen behalten wir in unseren Köpfen
Saussure: 2
Arten von Beziehungen zw. sprachl. Einheiten:
5.1.
Paradigmatische und syntagmatische Beziehungen (Übersicht)
Beide Arten von
Beziehungen bedingen einander, vg. horizontale und vertikale
Bez.
16
jedes Lexem hat
best. Eigenschaften, sowohl spezifische als auch solche, die es mit
anderen
Lexemen
gemeinsam hat.
Aufgrund dieser
gemeinsamen Eigenschaften (gleicher Denotatsbereich, gleiche
Wortart,…)
steht das Lexem
mit anderen in einer Reihe, bildet mit anderen ein Paradigma,
dessen
Elemente die
gleiche Position im Satz einnehmen können.
paradigmat.
Bez. bestehen also zw. lexikal. Einheiten, die aufgrund ihrer
gemeinsamen
Eigenschaften
die gleiche Position im Satz einnehmen können.
Klassifizierung
der Eigenschaften sehr komplex und vielfältig
Konkreta und
Abstrakta, Appelative (Kollektiva, zählbare Individuativa), ganze
Hierarchie,
bis hinunter zu
kleinen Gruppen, z.B. Verwandtschaftsbezeichnungen, die alle best.
Merkmale
besitzen
Jedes Lexem
geht bei seiner Verwendung im Text best. Bez. zu anderen Lexemen ein,
mit
denen es
gemeinsam im Satz verwendet wird. Zu solchen Bez. gehört z.B. die Valenz
(stammt
eigentl. aus
der Chemie, von Tesniere in die Grammatiktheorie eingeführt, Schöpfer
der
Valenzgrammatik).
Dh. die Eigenschaft von Wörtern, eine best. Zahl und Art von
Mitspielern
im Satz zu
fordern (Aktanten), z.B. helfen fordert Subjekt und Objekt im Dativ,
unterstützen
fordert Subjekt
und Objekt im Akkusativ, die Aktanten müssen best. semant. Merkmale
erfüllen, rufen
fordert 2 Aktanten, geben fordert 3 Aktanten
Zu solchen
Beziehungen gehört aber auch die semantische Verträglichkeit =
Kompatibilität
lexikal.
Einheiten im Satz, best. Lexeme sind kompatibel, andere sind es nicht, z. B.
der
blonde Hund,
blond bezieht sich aber nur auf menschl. Haar, z.B. er eilte langsam zur
Schule,
eilen und
langsam nicht kompatibel
è Unter
syntagmatischen Beziehungen verstehen wir Bez. zw. lexikal. Einheiten, die im
Satz
gemeinsam
vorkommen können, bzw. die miteinander einen Satz bilden können
5.2.
Paradigmatische Beziehungen
Paradigmat.
Reihen können sehr unterschiedl. umfangreich sein
Wortfelder eher
kleinere Einheit von paradigmat. Reihen, Begriff geht zurück auf den
dt.
Sprachwissenschaftler
Jos Trier, Wortfeld für Verstandeseigenschaften (saublöd, dumm,
klug,…)
5.2.1.
Synonymie
Die Erscheinung
der Synonymie beruht darauf, dass zw. Form und Inhalt keine
Eins-zu-Eins-
Beziehung
besteht
Beziehung zw.
Sememen, also zw. versch. Bedeutungen
es geht um das
Verhältnis von Sememen versch. Lexeme
traditionell
ist Synonymie die Beziehung zw. sprachl. Einheiten, die bedeutungsgleich
oder
bedeutungsähnlich
sind, in ihrer Form aber verschieden sind
z.B. Fahrstuhl
– Lift, Ufer – Strand
versch. Wörter
mit gleicher oder ähnlicher Bedeutung
è Definition
trifft aber nur für monoseme Wörter zu, also für Wörter, die nur eine
Bedeutung
tragen, die
Wörter sind aber nie in allen ihren Bedeutungen mit anderen bedeutungsgleich
od.
ähnlich
z.B. Flügel –
Tragfläche – Seitengebäude, Tragfläche und Seitengebäude sind aber
keine
Synonyme
è nicht eine
Bez. zw. Wörtern, sondern Beziehung zw. einzelnen Sememen versch.
Lexeme
Unter lexikal.
Synonymie verstehen wir die Gleichheit oder Ähnlichkeit von Sememen
verschiedener
Lexeme.
17
Es gibt auch
Einzelfälle, dass Lexeme in mehreren Sememen synonym sind, Z.B. Welle
–
Woge Welle:
Wasserbewegung, Fortbewegungsform von Licht und Schall,
Gemütsbewegung
Woge:
Wasserbewegung, Gemütsbewegung, aber nicht Fortbewegungsform
Wir bestimmen
die Synonymie danach, in welchem Grade die einzelnen Sememe
miteinander
übereinstimmen.
Als Synonymie betrachten wir
Sememe verschiedener Lexeme, die sich auf das gleiche
Denotat
beziehen und deshalb über einen Kern gleicher Seme verfügen, sich aber auch
durch
periphere
Denotative und/oder durch konnotative Seme unterscheiden können.
Es gibt aber
auch Synonymie, die auf morphematische Ebene bezogen sind, z.B.
Pluralmorpheme
des Substantivs (er, e, en, n, s, 0), und auch auf syntakt. Ebene
Es geht bei uns
immer um 2 Dinge (in der analyt. Bedeutungsauffassung)
semantische
Analyse: Bestimmung der Sememe
Bestimmung der
Gleichheit/Ähnlichkeit der Sememe
Danach ergibt
sich eine Bestimmung der Synonymie nach dem Grad der
Übereinstimmung
der Seme der
verglichenen Sememe verschiedener Lexeme
3 Arten von
Synonymen:
a) vollständige
Synonymie
b) partielle
Synonymie
c) stilistische
Synonymie
a)
Vollständige Synonymie
liegt dann vor,
wenn Sememe verschiedener Lexeme in ihren Semen völlig
übereinstimmen,
sowohl in der
denotativen, als auch in
der (sofern vorhanden) konnotativen Komponente. Die
entsprechenden
Lexemvarianten müssen also in jedem Kontext substituierbar sein.
Manche
Wissenschafter
meinen, dass diese Art von Synonymie nicht möglich ist, z.B. in
Gedichten.
Vollständige
Synonymie ist relativ selten und tritt häufiger in der Gegenüberstellung
fremder
und heimischer
Wörter auf, z.B. Moment und Augenblick, Lift und Fahrstuhl, Numerale
und
Zahlwort.
L(F1) – S1 –
M1, M2, M3 usw.
vollständige
Übereinstimmung, wenn M1 = M1’, M2 = M2’, M3 = M3’
territoriale
Dubletten werden nicht Synonyme genannt, sondern Heteronyme:
semant.
Synonyme, sind aber untersch. Existenzformen zugeordnet, gehören nicht
dem
gemeinsprachl.
Wortschatz an, z.B. Topfen – Quark, Metzger – Fleischhauer
sind nicht
überall verbreitet und werden daher nicht zu Synonymen gezählt, sonst müsste
man
ja die
Dialektwörter auch noch dazuzählen
b) Partielle
Synonymie
liegt dann vor,
wenn Sememe versch. Lexeme in den Semen der denotativen Komponente
teilweise
übereinstimmen und die konnotative Komponente merkmallos ist.
Werk – Betrieb,
schneiden – mähen,…
keine
vollständige Substituierbarkeit in allen Kontexten, in manchen Kontexten sind
sie nicht
substituierbar,
z.B.Rasen mähen/schneiden, aber Haare schneiden/ nicht mähen M3
M3’
18
c)
stilistische Synonymie
liegt dann vor,
wenn Sememe versch. Lexeme in den Semen der denotativen Komponente
vollständig
oder partiell übereinstimmen, sich aber in den Semen der
konnotativen
Komponente in
jedem Fall unterscheiden.
Die besondere
Stilfärbung wird betont, sonst wäre es ja eigentlich partielle
Synonymie
z.B. sterben –
abkratzen – den Löffel abgeben – dahinscheiden – entschlafen – verrecken
–
die Radieschen
von unten betrachten è euphemistische und pejorative Bedeutungen
Gesicht –
Antlitz – Visage
5.2.2.
Hyperonymie
Unter
Hyperonymie versteht man die Beziehung der Über- bzw. Unterordungen
der
Bedeutungen
versch. Lexeme.
Das
übergeordnete Element = Hyperonym, z.B. Blume
Die
untergeordneten Elemente = Hyponyme, z.B. Rose, Narzisse, Tulpe,
Maiglöckchen
Gemeinsamkeiten
zur Synonymie: gemeinsame Merkmale, aber das Entscheidende ist: die
Beziehungen der
Sememe ist nicht umkehrbar, während sie bei der Synonymie immer
umkehrbar ist,
jeder Pudel ist ein Hund, aber nicht jeder Hund ein Pudel
hierarchische
Beziehung, vom Allgemeinen zum Speziellen, zwar auch gewisse
Ersetzbarkeit
gegeben, z.B. man kann immer statt „Rose“ „Blume“ einsetzen, aber
nicht
umgekehrt.
5.2.3.
Antonymie
- Antonymie:
Die gegenübergestellten Sememe besitzen je ein Sem, das dem Sem des
anderen Semems
entgegengesetzt ist: kalt – warm, Mann – Frau (beide: Mensch,
sprache
besitzend);
Früher auch:
Gegensatzpaarigkeit von Wörtern.
Meist
entgegengesetzte Pole einer angenommenen Achse, daher Einschränkung
der
Antonymie. Am
häufigsten bei Adjektiven, die Qualitäten oder Position ausdrücken.
Beide Sememe
haben im Kontext eine unterschiedliche Distribution. Antonymische
Sememe stehen
in verschiedenen Konstellationen zu einander, was Polysemie zeigt:
hoch-
tief,
hoch-niedrig, alt-jung, alt-neu.
Man versucht,
die Antonyme zu untergliedern, es gibt drei Arten von
„Gegensatzbeziehungen“:
1. Kontrarität
= Gradabstufung der entsprechenden Eigenschaft. laut-leise,
warm-kalt,
groß-klein. Das
ist aber subjektiv. Die Gradabstufung wird angegeben.
2.
Komplementarität = sind objektive Gegensätze: klare Abgrenzung:
tot-lebendig,
verheiratet-unverheiratet.
Mann-Frau, „entweder-oder“-Antonymie.
3.
Konversivität: Gegensätzliche Sichtweise auf den gleichen Vorgang,
geben-nehmen,
kaufen-verkaufen,
mieten-vermieten.
5.2.4.
Wortfelder und Wortfamilien
Die komplexeste
Gruppierung im Wortschatz ist das Wortfeld. Der Terminus geht auf
Jost
Trier zurück:
„Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes“ –
Diachronische
Untersuchung zu
Bezeichnung geistiger Fähigkeiten im deutschen Sprachschatz. Aus
der
Untersuchung
ging das „Wortfeld“ hervor, welches breit differenziert worden ist.
Der
Grundgedanke
besteht darin, dass die Wörter einer Sprache Teile von Gruppen
und
19
Verbänden,
genannt Wortfeld, sind, in dem sie sich in Beziehung und Abhängigkeit
zu
anderen Worten
stellen. Psycholinguistisch versucht man zu zeigen, dass die Wörter
einer
Sprache in
Feldern gespeichert werden. (Empfehlung: Harald Weydt über den
Polyglottismus).
Eugen Coseriu:
1967 Definition für Wortfeld: lexikalisches Paradigma
Lorenz (?):
1977: die als Wortfeld
bezeichneten semantische Makrostrukturen sind
Subsysteme des
Lexikons; allen Feldbestandteile ist mindestens ein Genus-Sem als
Oberbegriff
gemeinsam. Vielfältig überschneiden sich die Seme in den
Strukturen.
Lutzeier 1981:
Ein Wortfeld ist eine in endlich viele Elemente teilbare lexikalische Menge
der
Sprache, die
unter semantischen Aspekten zusammengefasst werden kann, deren
Elemente
die gleiche
syntaktische Funktion erfüllt.
Das
Onomasiologische Feld: (im Gegensatz zum semasiologischen): geht vom Bereich
der
Realität aus,
danach erfolgt Suche der Formative. = 2 Unterschiedliche
Vorgehensweisen
(Beim
semasiologischen Feld wird die Bedeutung eines Wortes gesucht).
Ursprünglich:
Bezeichnungs- oder Begriffsfelder, z.B. Verwandtschaftsbeziehungen.
Archilexem als Hyperonym im Zentrum,
dem andere Lexeme zugeordnet sind, sie bilden
dann das Feld.
Im eigentlichen Sinn ist es ein Synonymfeld. Thea Schippan
unterscheidet
hier:
Wasserlauf
künstlich
natürlich
Kanal
Fluss
groß
klein
Strom
Bach
sehr
klein
Rinnsal
Bächlein
Begriff
Wortfeld wurde über die Synonymie hinaus ausgeweitet, z.B. Das
„Tempusfeld“.
Wortfamilie:
Diachronische Art der Wortbeziehung; steht nicht so im Vordergrund.
Es
handelt sich um
eine Zusammenfassung von Bestandteilen des Wortschatzes, die sich auf
ein
gemeinsames
Grundmorphem zurückführen lassen. Wortfeld = synchronisch, Wortfamilie
=
diachronisch.
Bezeichnung aus dem 19. Jahrhundert, v.a. von Grimm (Romantik). Die
literarische
Strömung war eine Strömung, die die frühe Vergangenheit
vergötterte.
Terminologie
des Lebens wurde auf die Sprache übertragen, z.B. Wortfamilie „Wetter“;
v.
Michael
Schlaefer. Diese Wortfamilie ist kein Wortfeld. Semantische Beziehungen
können
verloren gehen,
indem die Komposita ihre Bezüge zu ihrem Ursprung verlieren. Die
Wortfamilie hat
Ähnlichkeiten mit dem Wortfeld.
5.3.
Syntagmatische Beziehungen
5.3.1.
Semantische Valenz und Kompatibilität
Beziehung von
Wörtern zueinander innerhalb von Sätzen. Die Aussage ergibt sich aus
den
semantischen
Beziehungen der Wörter (Textlinguistik). D.h. (horizontale Beziehung), dass
in
einem Satz nur
Wörter kombinierbar sind, die die Möglichkeiten für semantische
Beziehungen
eröffnen und deren Bedeutungen kompatibel miteinander sind. Valenz
ist
ebenfalls noch
nötig. Inkompatible Bedeutungen können normalerweise nicht
kombiniert
werden, sind
also unzulässig: „er hat mich aufrichtig belogen“, „er eilte langsam“, „sie
hat
einen blonden
hund“. Es liegt eine Unverträglichkeit von Semen (denotativ und
konnotativ)
vor. Ein Native
Speaker macht solche Fehler auch nicht. In engem Zusammenhang
damit
20
steht die
semantische Valenz aus der Syntax (Tesniere). Ist die Fähigkeit, bestimmte
Elemente
im Satz
umzuformen oder an sich zu binden. (Valenzwörterbücher), z.B.
„schlafen“
(einwertig),
„rufen“ (zweiwertig), „geben“ (dreiwertig). Während die syntaktische
Valenz
sich auf die
Zahl der Elemente bezieht, bezieht sich die semantische Valenz auf
die
semantisch
begründete Fähigkeit eines Lexems, aufgrund seiner Bedeutung Partnerlexeme
zu
fordern,
Leerstellen zu eröffnen, die mit bestimmten Partnern besetzt werden müssen.
„lügen“
= wider
besseres Wissen falsche Aussagen machen, d.h. „belügen“ braucht Elemente
der
Eigenschaft
„human“. Fortbewegungsverben brauchen Fortbewegungssubjekte.
Semantische
Valenz ist ein Teilgebiet der Kompatibilität, ausgenommen von
syntaktischer
und
semantischer Valenz ist der indirekte oder übertragene Sprachgebrauch
(Literatur, Lyrik,
Märchen). Erwin
Strittmatters Texte sind hier sehr reichhaltig, weil er eine Unzahl
von
Okkasionalismen
bildete.
5.3.2.
Topiks und Textisotopie
zu den
Syntagmatisch Paradigmatischen Beziehungen. Die Semantische
Beziehungen
zwischen
Lexemen beschränken sich nicht auf den einzelnen Satz. Lexeme und
Sememe
haben
semantische Beziehungen innerhalb von Texten, wichtig für den
semantischen
Zusammenhang in
einem Text = Kohärenz. Die Entfaltung eines Textthemas macht die
Kohärenz eines
Textes aus. Eine der größten Herausforderungen der Sprachwissenschaft.
Ein
Text ist von
Inhalt und Zweck bestimmte Folge von Sätzen und satzwertigen
Einheiten,
zwischen denen
inhaltlich und formal Beziehungen bestehen.
Die Bedeutung
eines Textes wird aufgebaut, indem durch lexikalische Einheiten
Beziehungen
hergestellt
werden, die durch die semantische Verflechtung den Fortgang des
Textes
ausmachen. Für
die inhaltliche Kontinuität hat die Textlinguistik den Term der
„Isotopie“.
Ein Mann geht
um die Ecke. Er trägt eine Tasche. Diese ist gut gefüllt.
Thea Schippan
hat sich mit der Textisotopie in ihrem Buch ausführlich
beschäftigt.
26. Mai
2004
6. Die
Struktur des Wortschatzes
Gliederung und
Erfassung der Strukturen, aus denen der Wortschatz sich aufbaut.
Übersicht
der
Strukturierungsmöglichkeiten:
a)
etymologische Gliederung in Wortfamilien (diachronisch)
b) semantische
Gliederung, Differenzierung des Wortschatzes in Wortfelder
c) regionale
oder diatopische Gliederung (Mundart – Umgangssprache –
Standardsprache)
d)
soziologische Differenzierung (Sonderwortschätze bestimmter Gruppen),
Gruppen-
und
Fachwortschätze, diastratische Gliederung
e) historische
oder diachronische Gliederung (Neologismen – Archaismen)
f) Gliederung
in „heimische“ und entlehnte Bestandteile (diaintegrative Gliederung
des
Wortschatzes).
Für alle
Aspekte gibt es mehr oder weniger weit entwickelte lexikographische Hilfsmittel.
Die
Lexikographie
ist im Deutschen aber dürftig entwickelt.
6.1.
Regionale (diatopische) Gliederung
21
Innerhalb des
Deutschen haben sich verschiedene Schichten herangebildet, die den
Menschen
zur Erfüllung
ihrer kommunikativen Bedürfnisse dienen. Für die Gegenwart lässt sich das
an
bestimmten
Merkmalen unterscheiden:
a) Struktur der
Sprachsysteme – Unterschiede
b) regionaler
Geltungsbereich
c)
unterschiedliche Anwendungsgebiete (kommunikative Bereiche)
d) stilistische
Markierung, heute an Stelle einer sozialen Markierung.
Es gibt drei
Existenzformen (Varietäten), die nicht auf den Wortschatz beschränkt
sind:
a)
Mundart
b)
Umgangssprache
c)
Standardsprache
Mundartliche
Wortschätze sind durch einen engen regionalen Geltungsbereich im
Sprachgebiet
gekennzeichnet. Auch das Niederdeutsche hat keinen einheitlichen
Sprachschatz,
im Zuge der Veränderung der Umgangssprache gehen die mundartlichen
Wortschätze
mehr und mehr zurück. Die Schweiz hat aber zB. nur eine Standardsprache
und
Mundarten, die
Rolle der Mundarten im süddeutschen Sprachraum ist stärker, ein
Rückgangsprozess ist
aber erkennbar. Beschränkung von Sprechern auf die reine Mundart
gibt es nicht
mehr, sehr wohl aber Beschränkung auf regionale Eigenheiten. Es gibt
eine
Menge von
Menschen, die ihr Leben lang die Schwelle von der Umgangssprache
zur
Standardsprache
nie überschreiten. Die Frage ist: inwiefern diese Menschen behindert sind
im
Alltag und bei
verschiedenen Tätigkeiten.
Mundartforschung
gibt es seit ca. 120 Jahren (Wörterbücher, Wortatlanten,
Isoglossen).
Der
standardsprachliche Wortschatz bildet den Gegenpol dazu. Geringfügige
regionale
Differenzen
gibt es aber. Der standardsprachliche Wortschatz bietet vielfältige
stilistische
Differenziertheit
und ist universell einsetzbar. Mit der Standardsprache kann alles
ausgedrückt
werden, mit
Mundart und Umgangssprache nicht. Die meisten Wörterbuchtypen
beziehen
sich auf den
standardsprachlichen Wortschatz.
Umgangssprache:
ist umstritten in ihrer Abgrenzung. Historisch ist sie relativ jung
(19.
Jahrhundert).
Erwachsen aus der Tendenz, sich über lokale Mundartgrenzen hinweg
zu
verständigen.
Eine Annäherung an die Standardsprache. Die Standardsprache ist aber
ein
Bildungsgut,
das man sich aneignen muss. Übergangsfeld zwischen Standardsprache und
der
Mundart.
Entweder es gibt zwei (Nord- und Süddeutsch) oder 50. In der DDR waren es
drei:
Thürisch,
Berlinisch Brandenburgisch, Norddeutsch.
Nord-Südteilung
ist grob und vereinfachend, aber im Kern richtig.
Regionale
Geltungsbereiche: Großräumiger als bei Mundarten oder
Dialekten. Es gibt nicht
DIE deutsche
Umgangssprache. „umgangssprachlich“ hat auch eine stilistische Bedeutung
–
Wörter mit
pejorativem Charakter werden zur Umgangssprache gezählt, selbst wenn
sie
überregional
sind, daraus entstehen Schwierigkeiten.
zur
Umgangssprache gehören:
a) nicht
mundartliche Wörter mit nicht nur regionaler Verbreitung im
Sprachgebrauch
b) Nicht
Standardsprachliche Wörter mit abwertender stilistischer Markierung,
auch
überregionaler
Bedeutung. z.B. „Scheiße“, konnotiert pejorativ, ist aber im ganzen
deutschen
Sprachgebiet verbreitet – funktioniert aber in der Standardsprache
nicht.
Oder:
„Karfiol“, ist in Österreich Standardsprache, aber nur auf Österreich
beschränkt.
Klamotten,
Klaue, abrackern, blechen, feuern, bimmeln, berappen, Latschen,
besoffen.
Siehe: Küppan:
Wöterbuch der deutschen Umgangssprache, Hamburg 1964. Walter
Hensen
(Schweiz) ermittelte, dass 70-80% aller Deutschsprechenden in der
Mehrzahl
22
der
Anwendungsgebiete die Umgangssprache verwenden. Die Umgangssprache ist
die
mehrheitliche
Alltagssprache, Mundart und Standardsprache kommen nur in
spezifischen
Situationen vor.
6.2.
Soziologische (diastratische) Gliederung
Diese
Differenzierung kann alle Teile des Sprachsystems umfassen. Sie ergibt sich aus
den
Bedingungen der
sprachlichen Tätigkeit der Menschen, die zur Ausbildung
sprachlicher
Besonderheiten
führen. Die Sonderwortschätze sind Resultat der kommunikativen
Bedingungen und
Anforderungen innerhalb sozialer Gruppen. Diese entstehen auf
Grundlage
von Beziehungen
und Gemeinsamkeiten (fachlich, beruflich, weltanschaulich,
altersmäßig,
interessenmäßig).
Alle diese Kleingemeinschaften entwickeln Normen speziell beim
Wortschatz,
wodurch eine optimale Verständigung erreicht werden soll. Die
Gruppen
konstituieren
die Sprachunterschiede – nicht umgekehrt! = soziologische Differenzierung
der
Sprache. Die
Allgemeinsprachlichen Mittel reichen oft nicht aus. Die Ausbildung
sprachlicher
Besonderheiten
dient
a) der
Effektivität der Kommunikation
b) dem Ausdruck
der Integration und der Abgrenzung der Gruppenteilnehmer
Sonderwortschätze
sind:
a)
Fachwortschätze: Lexikalische Besonderheiten, die sich in der Sphäre der Arbeit
und
des Berufs
ergeben.
b)
Gruppenwortschätze: Lexikalische Besonderheiten, die sich in anderen
Gruppierungen
und Interessen
ergeben.
Manchmal findet
man auch Sonder-, Fach- und Gruppensprache als Ausdruck (weil
Sprache
mit Wortschatz
verwechselt wird). Diese Differenzierungen sind im wesentlichen auf
den
Wortschatz
beschränkt.
Im
Binnendeutschen gibt es keine spezifische diastratische Differenzierung
innerhalb der
Mundarten mehr.
Es gibt keine scharfen Grenzen zwischen den Sonderwortschätzen
insgesamt.
Zwischen den verschiedenen Ausprägungen gibt es viele Übergänge.
Fachwortschätze
gewinnen mehr Einfluss auf die Alltagssprache.
9. Juni
2004
6.2.1.
Fachwortschätze
Zunehmende
fachliche Differenzierung führt zu Ausbildung von
Wortschatzbesonderheiten,
die der
Beschreibung des Gebietes dienen. Der Umfang der Fachwortschätze ist größer als der
Allgemeinwortschatz.
Von zehn Millionen Wörtern des deutschen Thesaurus sind 500000
Allgemeinwortschatz.
Anwendungsbereich ist das entsprechende Fachgebiet, die
Fachwortschätze
sind der Allgemeinheit nicht so zugänglich. Der Kraftfahrzeugwortschatz
ist
jedoch
allgemeiner als der
Medizinwortschatz. Merkmale sind prototypisch für
Fachwortschätze:
a)
Fachbezogenheit
b)
Begrifflichkeit und Exaktheit. Grad der Exaktheit ist abhängig von der Anzahl
der
verwendeten
Termini. Exaktheit wird von Synonymie und Homonymie beeinträchtigt.
c) Relative
Eindeutigkeit von Fachwörtern innerhalb des Rahmens der
Fachgebiete.
d) Systematik:
Begriffsreihen von Fachbegriffen
e) Knappheit
(relativ): Tendenzen zu geringer Redundanz.
23
f) Stilistische
Neutralität: Fachwörter sollten keine Konnotationen haben.
Diese Merkmale
sind nicht alle gleichermaßen ausgeprägt. Die Differenzierung erfolgt
in
verschiedenen
Fachwortschätzen (horizontale Gliederung). Vertikale Differenzierung
im
wesentlichen
durch drei Untergruppen: Termini, Halbtermini, Fachjargon
Termini sind
Fachwörter, deren Bedeutung durch Definition festgelegt ist, die ein
Denotat
innerhalb eines
Fachgebietes mit der nötigen Präzision bezeichnet.
Halbtermini:
Bedeutung nicht durch Definition festgelegt, zur Kennzeichnung von
Denotaten
aber
ausreichend (= Professionalismen): Bandsäge, Beißzange,
Vierkantschlüssel.
Die Merkmale
treffen nur für die Termini in vollem Umfang zu. Mundartliche
Fachwortschätze
existieren heute kaum noch. Die diatopische Differenzierung geht mehr
und
mehr zurück,
während Fachwortschätze sich ausweiten.
6.2.2.
Gruppenwortschätze
Es handelt sich
hier um lexikalische Besonderheiten bestimmter Gruppen. Es handelt sich
um
besondere
Wortschätze, bei denen eine gewisse Konnotation effektiv erforderlich sein
soll.
Aspekt der
Abgrenzung und der Identifikation. Als Verwender dokumentiert
man
Zugehörigkeit
zu einer bestimmten Gruppe. Die Bandbreite ist sehr groß, die Grenze zu
den
Fachwortschätzen ist
fließend. Sofern sie umgangssprachlich und pejorativ sind, wird das als
Jargon und
Slang bezeichnet. Beliebtes Beispiel ist der jugendsprachliche Wortschatz.
Bsp.:
Bezeichnung für
Geld oft aus dem Rotwelsch übernommen. Bezeichnend für die
Gruppensprache
ist die Umdeutung vorhandener Wörter (Wörterbuch der Jugendsprache,
Margot
Heinemann, geordnet nach Denotatsbereichen, Belegen und Kontexten).
7.
Wortschatzentwicklung
Das
Sprachsystem braucht Kontinuität für eine Verständigung. Die Sprache steht vor
der
Notwendigkeit,
sich den kommunikativen und kognitiven Bedürfnissen anzupassen. Die
Sprachentwicklung
vollzieht sich in einer ständigen Lösung dieses Widerspruchs.
Weise,
Tempo und
Umgang sind dabei unterschiedlich, z.B. Rückgang des Genetivs seit 250
Jahren,
Im Wortschatz
ist die Sprache am beweglichsten. Rasche und vielfältige Reaktion.
Im
Wortschatz
werden die unmittelbaren Benennungsbedürfnisse befriedigt und mit Lexemen
die
Gegebenheit der
Welt bezeichnet und verfügbar gemacht. Nicht alle Elemente aus Texten
sind
Bestandteile
des Wortschatzes, sondern erst wenn sie usualisiert werden. Wörter bleiben
sonst
Bestandteile
des Textes, werden aber nicht Teil des allgemeinen Wortschatzes.
Besonders
Erwin
Strittmatter prägte zahlreiche solcher Okkasionalismen, z.B. „Fürbewegung“.
Erst
durch die
Usualisierung kann man von Neologismen sprechen. Die Ursachen sind mit
dem
Leben der
Menschen und ihren Aufgaben verbunden. Täglich werden unzählige
Wörter
gebildet. Der
größte Bereich der Entwicklung sind die Fachwortschätze. Einerseits durch
neue
Bezeichnung
werden neue Gegebenheiten benannt, es treten neue Wörter auf.
a) Bildung und
Übernahme neuer lexikalischer Einheiten
b) Rückgang
oder Ausscheiden vorhandener lexikalischer Einheiten (Archaismen)
Diese beiden
Vorgänge halten sich im allgemeinen Wortschatz die Waage, ca. 8%
des
verzeichneten
Wortschatzes sind in Bewegung.
7.1.
Neologismen
24
Lexeme oder
Lexembedeutungen, die von einer Gemeinschaft zu einem bestimmten
Zeitpunkt als neu empfunden werden.
Einordnung in den Wortschatz ist eine temporäre
Beziehung.
Neologismen werden entweder zum Bestandteil des Wortschatzes oder
sie
verschwinden
wieder.
Okkasionalismen:
sind
nicht
usualisiert;
einzeltextgebunden,
nur
potentielle
Wortschatzelemente
è Begrenzung
liegt in der Usualisierung: Neologismen sind usualisiert, haben aber noch
eine
zeitliche
Markierung
3 Arten von
Neologismen:
1)
Neubildung (Neuprägung):
neue Lexeme,
die auf dem Wege der Wortbildung gebildet werden; häufigster Weg
der
Entstehung
neuer Wörter – ca. 83 % der Neologismen
Hauptform der
Neubildung ist die Zusammensetzung – ca. 76 %
der Neubildungen
2)
Neubedeutung:
Zuordnung ist
umstritten, neue Seme zu schon vorhandenen Lexemen
Anteil der
Neubedeutungen an den Neologismen beträgt ca. 12 %. Im
Sprachgebrauch
besitzen diese
Neusememe eine relative Relevanz
z.B. Wendehals
(eigentlich ein Vogel); Abwicklung; Typ (Bezeichnung für einen
Mann)
3) Neuwörter
bzw. Entlehnungen
lexikalische
Einheiten, die aus anderen Sprachen übernommen sind, aus Sicht der dt.
Sprache
ummotiviert
worden. – 5 % der Neologismen
Der Großteil
davon stammt aus dem Englischen bzw. Amerikanischen.
Neologismen
kann man auch onomasiologisch klassifizieren, auf die Fachgebiete
aufgeteilt,
wo sie
auftreten:
- Wirtschaft:
ca. 30%
- Wissenschaft
und Technik: ca. 23%
-
gesellschaftl., polit. Leben: ca. 21%
- Kultur,
Sport, Bildung: ca. 23%
Im Alltagsleben
treten kaum Neologismen auf, hier verändert sich relativ wenig.
7.2.
Archaismen
sind Lexeme
oder Lexembedeutungen, die von einer Gemeinschaft zu einem
bestimmten
Zeitpunkt als veraltet und nicht mehr
zeitgemäß empfunden werden. Sie sind noch
Bestandteile
des Wortschatzes mit abnehmenden und zunehmend spezialisiertem
Sprachgebrauch.
untergegangene
Wörter sind keine Archaismen, da sie ja gar nicht mehr zum
Wortschatz
gehören, sie
sind ja verschwunden!!!
Neologismen und
Archaismen sind parallele Vorgänge. Das Veralten von Bezeichnungen
und
Bedeutungen ist
aber noch schwerer zu beobachten.
a) zeitliche
Differenzierung: veraltete Wörter oder Wortbedeutungen vs.
veraltende
Wörter oder
Wortbedeutungen.
25
b)
sprachliche Klassifizierung: Unterscheidung von Denotatsarchaismen
und
Bezeichnungsarchaismen.
Denotatsarchaismen:
Sicht auf den benannten Gegenstand liegt zu Grunde.
Gegenstand kann
sich verändern oder verschwinden, dadurch veraltet die
Bezeichnung.
Die Wörter, deren Denotate veralten, nennt man auch Historismen.
Zugehörigkeit
zu den Archaismen umstritten.
Bezeichnungsarchaismen:
Sprachliche Benennung der Sache veraltet. Der Gegenstand
besteht
unverändert weiter, die sprachliche Bezeichnung wird nicht mehr als
zeitgemäß
angesehen. Es veralten nur einzelne Sememe eines Lexems, das Wort
bleibt
bestehen.
Archaismen
haben eine wichtige Funktion in bestimmten Textgestaltungen, z.B.
Geschichtsschreibung,
historische Romane
7.3.
Bedeutungswandel
diachronischer
Vorgang, der bestimmte Auswirkungen auf die Gegenwartssprache hat
… wenn sich die
Bedeutungsseite lexikalischer Zeichen (Sememe und ihre Seme)
verändert
und die
Formseite gleich bleibt oder lautgesetzlichen Wandlungen unterliegt
z.B.
AHD
MHD
NHD
zimbar
zimbre
Zimmer
è
Formseite
Bauholz
Bau aus
Holz
Wohnraum
è
Bedeutungsseite
a) Wesen des
Bedeutungswandels
Neue Denotate
in der Sprache werden schon vorhandene Lexeme zugeordnet und damit
deren
Bedeutung
verändert
z.B. Schlange
zu der schon vorhandenen Bedeutung tritt eine weitere hinzu, dadurch
entsteht
Polysemie. Oft
durch Ähnlichkeiten der Form der Denotate.
è metaphorische
Bezeichnungsübertragung
è metonymische
Bezeichungsübertragung: bezieht sich auf ein bestimmtes logisches
Verhältnis;
z.B. Schule als
Forschungsrichtung
Bedeutungswandel
besteht nicht immer in der Vergrößerung der Sememe eines Lexems.
Oft
kommt es auch
zu Veränderung der Sememe: Wertsteigerungen und Wertminderungen
b) Ursachen
des Bedeutungswandels
ü
Benennungsbedürfnis von neuen Objekten, Empfindungen, …
ü
Denotatsverwendung bei Beibehaltung des Formativs; z.B. Bleistift, Federhalter,
…
ü Veränderung
der menschlichen Erkenntnis im weitesten Sinne, z.B. Engel,
Teufel,…
ü Veränderung
sozialer Beziehungen und kommunikativer Normen; z.B. Bezeichnungen
für Frau è
Dame, Weib, Fräulein
ü
Pseudoetymologie (Volksetymologie): semantische Fehlinterpretation auf Grund
von
Ähnlichkeit der
Formative; z.B. Maulwurf, Friedhof
23.06.2004
Nachschreibetermin:
1. Hälfte Oktober
26
Vorbereitung:
Literaturliste, Mitschrift, besonders: Thea Schippan: Lexikologie der
deutschen
Gegenwartssprache,
Kleine Enzyklopädie der deutschen Sprache: Kapitel Lexikologie von
Wolfgang
Fleischer
Arten des
Bedeutungswandels:
Hochzeit,
Frauenzimmer, Marschall, vgl. Sprachgeschichte
a)
Lexemumstrukturierung: neue Sememe treten mit neuem Denotatsbereich hinzu oder
fallen
weg, è mehr
oder weniger Sememe, z.B. Flügel, Linse, Schlange
b)
Sememumstrukturierung: Zahl der Sememe bleibt gleich, aber die Sememe verändern
sich
in ihren Semen,
bis zu einem Denotat, das mit dem ursprünglichen Wort nichts mehr zu
tun
hat, z.B.
Marschall, Hochzeit
7.4.
Entlehnung
in der
Sprachgeschichte oft Purismus (v.a. im 17. Jahrhundert) è Sprache muss von
fremden
Wörtern
gesäubert werden
heute: es gibt
aber eigentlich gar keine Fremdwörter, egal woher die Wörter kommen,
sie
gehören ja
jetzt zu unserer Sprache
Problem: wo
fängt das Fremde an und hört das Heimische auf, wo ist die Grenze?
Klassifizierung
anhand von formalen Merkmalen
Entlehnung (mit
Bezug auf das lexikalische System): die Übernahme von Wörtern,
Wortbestandteilen,
oder Wortbedeutungen aus anderen Sprachen in die eigene Sprache.
è
diachronisch
in synchroner
Sicht: formalen Kriterien, die fremde von heimischen Wörtern
unterscheiden
Die Übernahme
von Wörtern od. Wortbedeutungen gibt es in der Geschichte unserer
Sprache
von Anfang an,
in mehr oder weniger großem Umfang und von mehr oder weniger
Sprachen.
Bestimmte
Sprachen bildeten die Hauptspendersprachen:
Latein:
Mittelalter bis Renaissance
Französisch:
17. – 19. Jahrhundert
Englisch-Amerikanisch:
jüngste Geschichte, v.a. 20. Jahrhundert
1) Ursachen
für die Übernahme von Wörtern aus anderen Sprachen
a) Übernahme
der Denotate, also der Sachen: mit den Sachen wurden die Wörter
dafür
übernommen
(Pfeil, Wein, Mauer)
b) politische,
kulturelle Einflüsse anderer Völker (Schule, Universität, schreiben, Doktor),
v.a.
aus dem
Lateinischen, oft schon vollkommen eingemeindetè Lehnwörter (weisen
keine
fremden
Merkmale mehr auf)
c) Gruppen- und
schichtenspezifische Übernahmen: Mode, Kunst, Sport, Computerwesen
d)
Wirtschaftliche und politische Beziehungen von Völkern: Dominanz
verschiedener
Staaten, z.B.
Russisch in der DDR, heute Amerikanisch und Englisch
Sprachen sind
unterschiedlich offen für Fremdwörter, z.B. Finnisch hat sich immer
stark
gegen
Fremdwörter gesperrt, die am stärksten puristische Sprache in Europa, manchmal
auch
heute noch
Purismus der Sprachen, hat viel mit Ideologie zu tun, Finnisch vielleicht
deshalb
27
so streng, da
sie oft von Russisch bedroht wurde, auch viele Internationalismen
nicht
vorhanden;
Deutsch sehr offen für Fremdwörter
Französisch
eigentlich sehr offen, aber es gibt eine Sprachpolizei, die darauf achtet,
dass
keine
Fremdwörter auftauchen
im Prinzip
verkraftet jede Sprache den fremden Einfluss, die Gefahr liegt in der Aufgabe
der
eigenen Sprache
und der Verdrängung der eigenen Sprache aus verschiedenen
Kommunikationsbereichen,
die Fremdwörter selbst sind keine Gefahr
2) Arten der
Entlehnung
Wortübernahme
a)
Lehnwörter: Fremdwörter, die schon assimiliert sind und damit keine
Fremdwörter
mehr sind,
haben keine Merkmale, die von heimischen Wörtern abweichen,
diachronische
Klassifikation, Lehnwörter sind Bildungsgut (ich bin ja so gebildet
und
weiß, dass Wein
von vinum kommt, aber das macht für die Kommunikation keinen
Unterschied!!),
werden in der synchronische Klassifikation ausgegliedert, z.B.
Fenster,
Mauer, Ziegel,
Wein
b) aus anderen
Sprachen übernommen, in ihrer Struktur und Bedeutung noch Element
anderer
Sprachen
ü
Fremdwörter: Übernahme von Form und Inhalt
ü
Internationalismen: in mehreren oder vielen (europäischen)
Sprachen
verbreitet:
Universität, Organisation, Philosophie, Toilette è hauptsächlich
auf griech.
lat. Wörtern begründet; Untergruppe der Fremdwörter
Lehnprägung
a)
Lehnbildung
ü
Lehnübersetzung: Teil für Teil- Übersetzung, Glied für Glied
wiedergegeben
ü
Lehnübertragung: freiere Übertragung, z.B. Showbusiness,
Vaterland
Unterschied im
Grad des direkten Bezuges
b)
Lehnbedeutung: ein fremdes Semem wird heimischen Wörtern
/Formativen
zugeordnet,
eine Bedeutung aus einer anderen Sprache wird einem heimischen
Formativ
zugeordnet, das dadurch ein weiteres Sem bekommt, eine weitere
Bedeutung; z.B.
taufen (eigentlich eintauchen, dann: einen Namen geben)
Ironischerweise
ist Purismus selbst ein Fremdwort, zuletzt in der Zeit des
Faschismus.
|